Es klingt so einfach, das Runde muss schließlich nur ins Eckige. Helmut Sautter tippt seinen Finger auf den Drücker des Kopfes der Spielfigur. Doch schon wieder fliegt der Ball, der mit seinen zwölf Ecken eigentlich gar kein Ball ist, irgendwo ins Nirvana. Weit vorbei am gegnerischen Tor. „Da war eine Unebenheit“, meint der 70-jährige, ohne eine Miene zu verziehen. Irgendwie will es an diesem Abend beim Tipp-Kick-Turnier der Gärtringer Tischtenniskameraden nicht so recht klappen, der Favorit strauchelt. Dass am Ende sein Kumpel Johannes Fink die launige Veranstaltung gewinnt, wurmt ihn schon ein bisschen.

Es gibt Freizeitaktivitäten, die sind einfach nicht totzukriegen. Die einen hantieren immer noch gerne mit dem Zauberwürfel aus den 1980er Jahren, andere spielen noch mit großer Leidenschaft Monopoly. Oder eben Tipp-Kick. Das ist Kult. Schwäbische Tüftler aus Stuttgart erfanden das Simulations-Tischspiel für zwei Personen, der Schwenninger Kaufmann Edwin Mieg erwarb vor genau 100 Jahren die Lizenz und heute sind dessen Enkel die Chefs des Familienunternehmens. Immer noch erliegen viele der Faszination des Miniatur-Fußballspiels, wohl kaum jemand, der in den Kellerräumen nicht irgendwo eine aufrollbare Filz-Spielfläche gelagert hat. Samt Kickerfiguren, die damals aus Blech waren und sich im Laufe der Jahrzehnte stetig weiterentwickelt haben. Hin zu Präzisionskickern aus Zink.

„Inzwischen gibt es unterschiedliche Figuren, die je nach Spielsituation verwendet werden dürfen“, sagt Tipp-Kick-Fachmann Helmut Sautter. Und die Traumtore auf Knopfdruck garantieren. Die Schussbeine bestehen mittlerweile aus Edelstahlprothesen. „Es gibt Dreher, Looper oder Striker“, weiß Sautter. Mit den einen lassen sich eher gefühlvolle Heber und Schlenzer machen, andere wiederum sind für die rustikalen Fernschüsse verantwortlich. Und der Laie wundert sich, wie es Helmut Sautter immer wieder schafft, der Kugel auf dem Spielfeld einen solchen Seitendrall zu verpassen, dass sich die obenliegende Farbe nicht ändert. Und er gleich wieder am Zug ist. Denn darüber entscheidet die Farbe. „Das sind ja 90 Prozent Ballbesitz“, klagt sein unterlegenes Gegenüber.

Bereits zum zweiten Mal treffen sich die Tischtennisspieler des TTV Gärtringen, die meisten aus der Hobbygruppe des Vereins, zu den „Gärtringer Tipp-Kick Open“. Das Gesellige steht im Vordergrund, in Dauerschleife wird über die Geheimnisse des filigranen Sports philosophiert. Passend zu den Europameisterschaften hat der Haslacher Karl-Heinz Ardelt einen Most-Füllkrug mitgebracht, Gastgeber Jürgen Häffner serviert eine leckere Stadionwurst.  „Ich habe in der Coronazeit wieder die Leidenschaft für das Spiel entdeckt“, sagt Helmut Sautter, dem die Feinmotorik seit jeher in den Fingern steckt. Schließlich gibt er auch als Bassist der legendären Coverband Lancelot eine gute Figur ab. Und heute will er als Titelverteidiger wieder sein Können unter Beweis stellen. „Zusammen mit Jojo Fink schaute ich neulich bei den offenen Deutschen Meisterschaften in Schwenningen vorbei“, erzählt Helmut Sautter. Der Tipp-Kick-Club Hirschlanden, derzeit auf Rang drei in der Bundesliga, war dort im Mekka der Tipp-Kicker auch vertreten, unter anderem mit dem mehrfachen deutschen Meister Benjamin Buza, der sich ein überdimensionales Tipp-Kick-Männchen auf den Oberarm tätowiert hat. „Die Profis spielen heute mit Material, das nur entfernt an die Original-Figuren erinnert. Außerdem ist beim Turnier das Tempo enorm, da gibt es kaum Momente zum Durchatmen“, erzählt Sautter. Und letztendlich gehe es auch um mentale Stärke. „Die Technik haben viele drauf“, sagt der Routinier, der es durchaus als Vorteil sieht, wenn man vom Tischtennis kommt. „Dort ist man ja Drucksituationen und knappe Spielstände gewohnt. Und man hat gute Reflexe.“ Auf die komme es ja auch an, wenn sich der Torwart den gegnerischen Distanzschüssen und raffinierten Aufsetzern entgegenzustellen hat.

„Jetzt biste fällig“, sagt Joe Berger, der die Kugel in eine aussichtsreiche Position manövriert hat. Doch das kleine Bällchen findet nach dem Knopfdruck nicht sein Ziel. Ganz im Gegenteil. Gut möglich, dass es erst wieder bei der nächsten häuslichen Putzaktion auftaucht. Oder halt vom Staubsauger verschluckt wird. Und dann fällt doch noch das 1:0. „Jaaaaa“, ruft Berger, als er in der abschließenden siebten Runde dem Verfasser dieses Berichts eine empfindliche Niederlage beibringt. Ein Raunen geht durchs weite Rund im Hobbykeller von Vereinskamerad Jürgen Häffner. Emotionen sind gelegentlich durchaus angebracht, die meiste Zeit verfolgen die Protagonisten jedoch (an)gespannt die jeweilige Partie auf dem 92 x 62 Zentimeter großen Spielfeld mit Veloursboden. „Ich werde mir jetzt auch mal ein Profi-Männchen besorgen“, nimmt sich Joe Berger vor. „Und ich ziehe mir beim nächsten Mal ein anderes Trikot an“, meint Karl-Heinz Ardelt, der im Outfit des Karlsruher SC in der Endabrechnung die rote Laterne nicht mehr loswurde. Das Endspiel der beiden bis dato ungeschlagenen Tipp-Kicker gewann Johannes Fink mit 1:0 gegen Helmut Sautter. „Wenn wir uns privat zu einem Match treffen, gehe ich meistens unter“, meint „Jojo“ Fink. Und Helmut Sautter ergänzt lapidar: „Wettkampf ist halt doch etwas anderes als ein Trainingsspielchen.“ Und er erntet ein Lächeln vom neuen Turniersieger.

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